Wie Öko (b)isst du? Yasemin Wüstenhagen mit Gemüse

Wie Öko (b)isst Du?

„Du Öko!“ – es gibt wohl kaum einen Halbsatz, der seinem Adressaten einen geringeren Sexappeal bescheinigt, ihm gleichzeitig mehr Fortschrittlichkeit abspricht und ihn obendrauf schonungsloser auf seine angeblich unzureichende Toleranz aufmerksam macht – als dieser.   

Doch was ist eigentlich ein Öko?

Was macht er anders als die Non-Ökos? Und was bitte ist so falsch daran, sich auf die Seite der Ökos zu schlagen? Ich für meinen Teil zähle mich ganz klar zu den Ökos. Auch wenn mein äußeres Erscheinungsbild so gar nicht in die Öko-Schublade passt, wie es im Denken der Durchschnittsbürger verankert ist. Denn ich liebe es, mich zu schminken, mein Gesicht mit so viel Farbe wie nur möglich anzumalen, fernab von Natürlichkeit. Ich genieße es, jeden Tag andere Kleidungsstücke zu tragen, farblich perfekt aufeinander abgestimmt, modisch am Puls der Zeit. Ich lebe auf zu großem Fuß, nicht nur im wortwörtlichen Sinne. Ich ersetze neue Dinge zu oft mit noch neueren, schmeiße Lebensmittel in die Tonne, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum länger als eine Woche überschritten ist, benutze zu viel Papier – in der Küche wie im Bad –, heize den Backofen zu lange vor und verwende mehr Spülmittel als nötig.  

Kein Online-Shopping
Foto: © OneSave/Day, Unsplash

Ich gelobe Besserung!

Nur weil ich noch eine Menge falsch mache, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht auf dem rechten Weg bin. Denn jeder kleine Schritt in die richtige Richtung ist mehr wert als ein stures Verharren in Reglosigkeit, ein rückständiges Festhalten an alten Mustern, fernab jeglichem Nachhaltigkeitsdenken.

Öko-Sein fängt im Kleinen an!  

Ich kaufe Bio, lasse Getreide keimen, Gräser wachsen und Gemüse fermentieren. Ich trinke keinen Alkohol, keine Softdrinks oder Fruchtsäfte. Ich liebe Grünzeugs und Nüsse, esse kiloweise Obst und Gemüse. Meiner Gesundheit zuliebe habe ich mich mit Bitterstoffen angefreundet, integriere täglich eine Portion Hülsenfrüchte in meine Ernährung und faste für mindestens 16 Stunden. Beim Essen konzentriere ich mich auf das Essen, versuche Ablenkung zu vermeiden. Ich studiere Zutatenlisten, höre auf meinen Körper und gebe ihm, was er braucht. Fertigprodukte sind für mich genauso wenig eine Option wie raffinierter Zucker oder synthetische Süßstoffe. Und wenn es doch mal die Schokolade wird, muss sie mit Datteln gesüßt und fair gehandelt sein. Ich gehe mit dem Gemüsenetz einkaufen, versuche, auf tropische Früchte zu verzichten und wann immer es möglich ist, meine Ziele zu Fuß zu erreichen. Ruhe find ich beim Meditieren. 

Sprossen
Foto: © Jeremy Zero, Unsplash

Wie Öko bis(s)t Du?

Wenn es um meinen Körper geht, verwandelt sich der eigentlich noch kleine Öko, der in mir veranlagt ist, zu einem ganz schön penetranten Öko-Fanatiker. Für mich trifft eine ökologische Einstellung also in erster Linie auf Menschen zu, die achtsam mit den natürlichen Ressourcen und ihrem Körper umgehen, Respekt vor dem Leben zeigen, sich intuitiv, aber mit Köpfchen ernähren.  

Und was bitte ist falsch an einem Menschen, der sich intensiv mit der Umwelt und seiner Ernährung auseinandersetzt? Was ist unzeitgemäß an der Einstellung, seinem Körper nur das Beste geben zu wollen, die Nährstoffaufnahme und Verwertung also so effektiv wie nur möglich zu gestalten? Was ist konservativ an der Haltung, das eigene Wohlbefinden zu priorisieren, gesund alt werden zu wollen und dafür aktiv etwas zu tun? 

Wie Öko (b)isst du? Yasemin Wüstenhagen

Ich ernähre mich vegan, mit einem hohen Rohkostanteil. Aber das bedeutet doch nicht gleichzeitig, dass ich meine Haare nicht mehr färben, kein Deo mehr benutzen und mir die Achselhaare nicht mehr entfernen darf. Nur weil ich drei Liter Wasser am Tag trinke und meinen Kaffeekonsum einschränke, muss ich doch nicht automatisch meine Eitelkeit aufgeben. Ich fühle mich gerne wie aus dem Ei gepellt, doch wer sagt, dass ich dafür Eier essen muss?

Wenn mein Kühlschrank-Inhalt das Einzige an mir ist, an dem ethisch und ökologisch nicht allzu viel auszusetzen ist, dann ist das doch immerhin ein Anfang!  

Jeder kann, keiner muss

Denn man muss sich als Öko nicht gleich an Bäume ketten, um den Bau von Bahnhöfen zu verhindern, sich nicht auf Gleise legen, um den Transport von radioaktivem Müll zu erschweren, man muss auch kein Selbstversorger sein und sich gegen alles stellen, was nicht im eigenen Garten gewachsen ist. Genauso wenig muss man Politiker für ihr ökologisches Fehlverhalten an den Pranger stellen, den Verbrennungsmotor verteufeln und sich für den Ausbau von Radwegen einsetzen. Man muss nicht zu jeder Zeit schwerelos durch die Sphäre schweben, mit sich selbst im Reinen, resistent gegen schlechte Gefühle und Gedanken sein. Auch muss man in Zeiten von Corona nicht an jeder Fridays-for-Future-Demonstration teilnehmen oder sich in Lebensgefahr begeben, um illegale Aufnahmen von zu Tode gequälten Tieren zu machen, die im Nachhinein in einem PETA-Enthüllungsvideo – im besten Fall – selbst hartgesottene Fleischesser erschüttern. Man muss all diese Dinge nicht tun und kann diese Welt trotzdem ein Stück weit bessermachen.  

Vegan sein ist toll
Foto: © Free To Use Sounds, Unsplash

Ein Öko ist kein Querulant!

Er stellt sich nicht gegen den Fortschritt, seine Beweggründe sind edel, an seiner Sichtweise sollten sich viel mehr Menschen orientieren. Denn im Grunde möchte der Öko nichts anderes als unseren schönen Planeten zu schützen. Er wünscht sich, ein friedvolles Miteinander aller Weltbürger im Einklang mit der Natur. Die Ausbeutung von Erde und Arbeitskraft soll ein Ende finden, genau wie das Leid von Mensch und Tier. Jeder darf sich gemäß seiner Natur verhalten, doch sich dabei nicht über andere stellen; jeder kann seine Bedürfnisse befriedigen, solange hierbei sichergestellt ist, dass die Ressourcen für nachfolgende Generationen geschont werden. 

Ich bin nicht in der Position, jemanden bekehren zu können.

Ich will das auch gar nicht. Denn obwohl ich mich gemäß der Ökologiebewegung ernähre, tue ich das nicht vornehmlich um der Tiere, sondern vielmehr um meiner Gesundheit Willen. Das mag egoistisch anlauten, doch ist es nicht ein wunderbarer Nebeneffekt, wenn ich nicht nur mich, sondern gleichzeitig die Welt damit rette?

Kuh
Foto: © Jinen Shah, Unsplash

Wir könnten die Weltbevölkerung dreimal ernähren, würden wir nicht ein Drittel des weltweit geernteten Getreides an Nutztiere verfüttern. Wir könnten die Auswirkungen des Klimawandels begrenzen, würden wir nicht im Minutentakt Regenwälder roden, um dort Futtermittel für methanausstoßende Rinder zu produzieren. Wir könnten die Zivilisationskrankheiten ausrotten oder zumindest im Zaum halten, wenn wir uns unserer Physiologie gemäß ernähren würden. Also warum zum Teufel fangen wir nicht damit an?  

Warum werden wir nicht alle ein bisschen Öko?

Öko ist man aus Überzeugung und das ist alles andere als uncool! Denn es bedeutet, dass man für seine eigenen Ansichten einsteht, und keineswegs, dass man nur noch Kleidung aus Bio-Baumwolle tragen darf, die in Deutschland gefertigt wurde oder im Fluss baden muss, um sein Immunsystem zu stärken. Man kann auch noch essen, ohne vorher ein Studium abgelegt zu haben. Es geht einzig und allein darum, den Öko in sich soweit auszuleben, wie es heute mit der eigenen Weltanschauung vereinbar ist und sich stufenweise zu steigern.  

Wie Öko (b)isst du? Yasemin Wüstenhagen Baum Umarmung

Ein bisschen mehr Toleranz, bitte!

Wer mit der Aussage „Du Öko!“ sein Gegenüber herabwürdigen möchte, spiegelt damit nur seine eigene Engstirnigkeit und Intoleranz wider. Er empfindet den alternativen Lebensstil als befremdlich, fühlt sich, wenn auch unbegründet, in seiner – aus Perspektive des Ökos scheinbar unzulänglichen – Lebensart angegriffen. Und in diesem Moment tut er das, was er seinem Feindbild vorwirft: Er gibt sich überlegen, findet sich in der Position zu belehren und zu bekehren. Er beharrt auf seinem Weltbild, hält an seinen Glaubenssätzen fest. In diesem Augenblick wird klar:  Der Öko is(s)t nicht rückständig, er is(s)t seiner Zeit voraus! 

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2 Comments

  1. Danke für Deine guten Gedanken 🙂
    LG Max

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