Wenn der Körper die Notbremse zieht Bänderriss Yasemin Wüstenhagen

Wenn der Körper die Notbremse zieht – Bänderriss und andere Blockaden

Unser Körper ist ein Wunder. Er hält uns am Leben und verlangt nicht mal etwas dafür. Und doch behandeln wir ihn viel zu selten wie dieses Großartigste aller Dinge, das uns zuteilwurde. Warum eigentlich? Warum verspüren wir stetig den Drang, ihn optimieren zu wollen? Warum ist er uns nie gut genug? Warum versuchen wir immerwährend seine Leistung zu steigern? „Höher, schneller, weiter“ ist das Motto, das auch ich lange gefahren bin.

Wenn der Körper die Notbremse zieht Bänderriss
Foto: © Ryan Stone, Unsplash

Ich wollte immer besser sein, besser als ich gestern war.

Also ging ich den Extra-Kilometer um den Block, hängte die zweite Session an mein Workout, griff zu den immer schwereren Gewichten. Und wofür? Nur um es mir immer wieder zu beweisen? Um guten Gewissens über die (Warn-)Signale meines Körpers hinwegzusehen? Um dem mir innewohnenden Druck Luft zu machen? Ich weiß es nicht. Aber was ich weiß:

Wenn der Körper die Notbremse zieht, sollten wir gar nicht erst versuchen weiterzufahren. – Wir sollten ihm die Pause geben, die er verdient.  

Mitte August letzten Jahres wollte mein Kopf eine Treppe hinauf, meine Beine wollten aber nicht so recht mitmachen. Also legte ich die Außenseite meines linken Fußes einmal komplett flach auf die unterste Stufe. Scheiße! dachte mir. Ich bin nicht aus Gummi! Das kann nicht mehr ganz sein. Jetzt darf ich für eine lange Zeit keinen Sport mehr machen. Mein zweiter Gedanke war: Yes! Jetzt muss ich eine ganze Weile nicht mehr zur Arbeit. – Aber das ist ein anderes Thema, welches es verdient hat, in einem eigenständigen Text abgehandelt zu werden.  

Wenn der Körper die Notbremse zieht Bänderriss
Foto: © Jackson Simmer, Unsplash

Da stand ich also wie ein Häufchen Elend am Treppenabsatz und wusste nicht wie mir geschieht. Ich hatte Schmerzen, konnte aber laufen, traute mich nicht alleine die Treppe hinauf, fühlte mich aber sicher auf den Beinen. Und dann begann da plötzlich dieser völlig irrationale Film in meinem Kopf abzulaufen: Wenn ich mich mehrere Wochen nicht bewegen kann, werde ich zunehmen, meine Muskeln werden sich verabschieden, ich kann die Kreise meiner Apple Watch nicht mehr schließen, mir fällt die Decke auf den Kopf. Und ich habe mich in dieses Szenario hineingesteigert. Das kann ich gut.  

Ich liebe es, mich zu bewegen!

Sport gehört für mich zum Alltag. Ich habe so viel Energie, die eingesetzt werden will. Schweißüberflutet und mit hochrotem Kopf am Rande der Belastbarkeit zu trainieren, macht mir Spaß! Und falls es mal kein Workout gibt, dann zumindest mehr als 10.000 Schritte. Meine Beine tragen mich gefühlt endlos weit. Keine meiner Muskelgruppen ist so stark wie die in meinem Unterkörper und auf einmal ließen mich meine Füße, meine treusten Begleiter, im Stich. Nach Wochen der Fehldiagnose von einer Handvoll mehr als unfähiger Ärzte wurde schließlich ein Bänderriss diagnostiziert. 

Wenn der Körper die Notbremse zieht Bänderriss
Foto: © Nick Fewings, Unsplash

Wenn ich in dieser Zeit eine Sache gelernt habe, dann, dass eine kurze Sportpause kein Weltuntergang ist. Den Körper unter Schmerzen weiter zu Höchstleistungen anzutreiben, hingegen schon.  

Es sind Situationen wie diese, in denen wir nicht sauer auf unseren Körper sein, sondern ihm all unsere Liebe und Fürsorge schenken sollten, damit er heilen kann.

Ich brauchte Zeit, um das zu verstehen.  

Zu verstehen, dass es okay ist, mit kaputtem Fuß auch auf das Oberkörper-Training zu verzichten, obwohl der ja intakt ist. Zu verstehen, dass es okay ist, einfach mal im Bett zu liegen und nichts zu tun. Zu verstehen, dass es okay ist, mal nicht in der Küche zu stehen, um zu backen. Zu verstehen, dass es okay ist, Zeit zu brauchen, Zeit zu brauchen, um gesund zu werden.  

Bänderriss Yasemin Wüstenhagen
Pause machen ist das wahrscheinlich härteste Training

Das war ein steiniger Weg. Ich stellte mich jeden Morgen vor den Spiegel, um zu begutachten, an welchen Stellen ich schon Fettpölsterchen angesetzt hatte, nur um zu erkennen, dass es keine sichtbaren gab. Ich wollte jeden Tag frisch kochen, doch musste stattdessen feststellen, dass mein Fuß diese Belastung nicht mitmachen konnte. Und so ging es eine Weile. Trotz aller Quittungen, die ich von meinem Körper bekam, weigerte ich mich herunterzufahren, bis es nicht mehr anders ging und die Schmerzen mich sogar im Liegen einholten.  

Ich musste lernen, zu vertrauen. Mir und meinem Körper, der sich nicht gravierend verändern würde, wenn ich ihn sechs Wochen nicht trainiere. Doch der, nicht mehr derselbe werden würde wie zuvor, wenn ich ihm nicht die Ruhe gönne, die er verdient. Und das war ein Riesen-„Schritt“ für mich – zumindest im übertragenen Sinne, denn meine Füße streikten ja.  

Also gab ich meinem Bewegungsdrang nicht mehr nach, änderte meine Einstellung, wollte meinen Körper unterstützen, so gut es eben ging: Ich bewegte mich nur so viel wie nötig, aß was immer mein Hungergefühl verlangte – was im Übrigen wesentlich weniger war, als für meine Verhältnisse üblich – und half zusätzlich mit Superfoods und Nahrungsergänzungsmitteln nach – auch für den Fall, dass das nur einen Placeboeffekt hatte.  

Fuß Bänderriss Yasemin Wüstenhagen
Füße hochlegen darf auch mal sein!

Ich durfte feststellen, wie viel sich in meinem Kopf und wie wenig sich an meinem Körper veränderte.

Okay, ich war vielleicht ein bisschen weicher und büßte ein paar sichtbare Muskeln ein, doch die hole ich mir gerade Stück für Stück zurück und gebe meinem Körper dabei die Zeit, die er braucht. Nach den ersten Workouts bemerkte ich, dass meine Kondition schlechter und meine Muskulatur schwächer waren. Ich konnte nicht länger als 20 Minuten joggen, nicht mehr als vier Kilogramm heben und der Muskelkater nach der Anstrengung brachte mich halb um den Verstand. Doch all das, war es wert, zeigte mir, dass mein Körper und ich uns auf dem richtigen Weg befinden und irgendwann – solange es eben dauert – wieder da ankommen, wo wir einmal waren. Und das ist okay.

Rückschläge sind okay, was zählt, ist das Weitermachen.

Heute kann ich nach mehr als 10 Arztbesuchen und drei Monaten Physiotherapie sagen: Macht das nicht nach, Leute! Auch wenn mein Fuß nicht mehr dick und blau ist, er tut weh. Nicht, wenn er belastet wird, doch wann immer ihm danach ist. Ich kann nicht sagen, ob diese Schmerzen irgendwann mal weg sein werden, doch ich weiß, dass mein Körper und ich zusammen-arbeiten müssen, um zusammen-zu-wachsen!  

Wenn der Körper die Notbremse zieht Bänderriss
Foto: © Xavier von Erlach, Unsplash

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