Wir schreiben das Jahr 2020. Die Welt dreht sich, unbeeindruckt, von dem, was gerade passiert. Und doch steht sie still. Als hätte jemand – ohne jegliche Vorwarnung – die Pause-Taste gedrückt. Um uns Zeit zu geben. Zeit, zum Durchatmen. Zeit, unser Leben aufzuräumen. Zeit, uns neu zu orientieren. Doch wann ist es an der Zeit, die Welt weiterlaufen zu lassen? Gibt es den richtigen Zeitpunkt? Wo ist der Play-Button? Mit diesen Fragen bleiben wir allein. Und so verharren wir in Bewegungslosigkeit, stehen still. Gehen weder nach vorn, noch zurück. Dabei sind Rückschritte doch auch Schritte.
Konzerte in Zeiten von Corona
Hätte mir jemand Anfang Februar erzählt, dass alle Konzerte, die ich im weiteren Verlauf des Jahres besuchen wollte, nicht stattfinden können, ich hätte seine destruktive Sichtweise belächelt. Hätte mir dieser jemand dann noch erzählt, ich würde Musik stattdessen bei schlechter Sicht im geparkten Auto über das Radio genießen, ich hätte mich still gefragt, in welchem Zeitalter er wohl stehengeblieben sein musste? Doch wie heißt es so schön? „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt!“
Ein Lichtermeer auf dem Messplatz in Karlsruhe
Und so saß ich am Freitag tatsächlich mit meinen Liebsten im Auto, geparkt auf dem Karlsruher Messplatz zwischen hunderten anderen Fahrzeugen. Ein Törtchen in der Hand, wartete ich gespannt darauf, dass es losging. Und dann war es soweit: Die ersten Töne erklangen, auf einer großen Leinwand kündigten Videoaufnahmen den Star des heutigen Abends an: Max Giesinger eroberte gemeinsam mit seiner Band die kleine Bühne am Kopfe des Platzes. Alles wirkte improvisiert, die Lightshow dürftig. Doch darauf kam es nicht an: es war die Musik, die uns an diesem Abend auf den Messplatz lockte. Es waren die Balladen, die die Herzen mit Liebe füllten; die Mittemponummern, die auf andere Gedanken brachten. Und hier stimmte einfach alles: Soundqualität, Stimmung, Spielfreude. Max Giesinger überzeugte mit dem, was er am besten kann: Singen, Gitarre spielen und die „Leude“ bei Laune halten. Er shakerte mit den Autos im Publikum, gleichzeitig natürlich auch mit den Fahrzeughaltern, sofern er sie in der Dunkelheit hinter den Scheiben erahnen konnte. Er machte an diesem Abend Zusammengehörigkeit ein Stück weit greifbar, ließ heimelige Gefühle erwachen und sorgte für viele glückliche Zuschauer, die dieses Erlebnis so schnell sicher nicht vergessen werden. – Denn wer hat schon einmal ein Konzert im Autokino erlebt?
Autokino-Konzert – Empfehlung oder Reinfall?
Unser aller Alltag hat sich verändert, soziale Kontakte sind auf ein Minimum reduziert, das Haus wird nur noch verlassen, um zur Arbeit oder in den Supermarkt zu gehen. Ein Großteil von dem, was wir erleben, spielt sich in unseren eigenen vier Wänden oder über das World Wide Web ab. Wir kommen nicht mehr raus, dabei ist es genau diese Art von Abenteuer, die wir brauchen! In einer Zeit, in der nichts so läuft, wie wir es geplant haben, müssen wir uns darauf einlassen, dass das Abenteuer „Konzertbesuch“ heute eben zum Abenteuer „Autokino-Konzertbesuch“ wird. – Und es ist längst nicht alles schlecht, was die Corona-Zeit hervorbringt: Also schwingt Euch in Eure Autos und lasst Euch vom Autokino-Charme bezaubern.
Magie, wo bist du?
Natürlich bleibt eine Wertung schwierig. Es ist toll, auf ein Konzert zu gehen, ohne im Vorfeld ewig anstehen zu müssen, um sich einen guten Platz zu sichern. Auch tritt Dir im Autokino niemand auf die Füße, rammt Dir seinen Ellenbogen in die Seite oder schüttet Dir sein Bier über. Du musst Dir nicht die Beine in den Bauch stehen, bist unabhängig vom Wetter, kannst die Lautstärke selbst bestimmen und auch kurz zur Toilette gehen, ohne Deinen Platz zu verlieren. Doch trotzdem fehlt etwas ganz Entscheidendes: Die Vorfreude, das Kribbeln im Bauch, wenn der Künstler die Bühne entert, die vielen winzigen Details, die das Konzert ausmachen. Die kleinen Fehler, die Dich daran erinnern, dass auf der Bühne auch nur Menschen stehen. Diese ganz besondere Nähe geht verloren, Du kannst nicht in den Gesichtern der Musiker lesen. Außerdem ist die Sicht aus dem Auto auch nur gut, solange Du in den vorderen beiden Reihen stehst und ein bisschen „Rücken“ gehört beim Konzert ja wohl dazu. Natürlich kann beim Autokino-Konzert geklatscht und gejubelt werden – real mit Muskelkraft sowie virtuell via Smartphone. Es wurde im Takt gehupt, mit Blinklichtern und Lichthupen Begeisterung zum Ausdruck gebracht. – Und doch fehlte die Euphorie, die einzigartige Atmosphäre, wie sie nur bei einem Live-Konzert entsteht. Pure Magie, wenn der Bass durch Deine Adern fährt, Dein Herz beginnt im Takt zu hüpfen, Du ungehemmt mitsingen, den Tränen freien Lauf lassen kannst.
„Machen wir das Beste draus!“
Doch bleibt am Schluss die Kreativität zu loben, den Willen weiterzumachen, nicht stehenzubleiben, den Max Giesinger und seine Kollegen an den Tag legen. Sie stecken den Kopf nicht in den Sand und machen das Beste, was in dieser Situation nur möglich ist: Sie verbreiten Freude – wenn auch „nur“ über das Radio! Dabeisein lohnt sich! Und wer weiß, das nächste Mal sehen wir uns vielleicht schon wieder ohne Auto!