Ich stehe da, eingepfercht wie eine Ölsardine. Besonders und doch eine von vielen. Ich spüre den Regen auf meine Haare nieseln. Sie kräuseln sich, das gefällt mir nicht. Ich spüre meine Füße nicht mehr, die Kälte dafür sehr. Sie kriecht nach oben, die Beine entlang bis zu den Ohren, hüllt mich in ihr Gewand. Meine Finger eiskalt, meine Lippen schon blau. Ich sehne mich nach der wohligen Wärme der stickigen Halle. Es sind nur noch ein paar Minuten. Ein paar Minuten, bis das Blut wieder durch meine Adern rauscht, das Leben in mein Gesicht zurücksaust, der schöne Teil des Abends endlich aufbraust.
Während ich versuche, mir das einzureden, drückt meine Blase, knurrt mein Magen. Ich habe seit Stunden nichts getrunken, nichts gegessen. Doch heute ist einer der wenigen Tage, an denen die ausgewogene Ernährung ist vergessen. Ich kann nicht mehr stehen, mein Rücken schmerzt. Und als hätte jemand meine Wehwehchen bemerkt, geht ein Ruck durch die Menge. Es geht los das Gedränge: erst drücken, dann treten, dann schimpfen, dann schubsen.
Ich habe das nicht vermisst. Kein bisschen. Kein Stück. Und doch will ich Euch zurück.
Denn ich vermisse die Vorfreude. Die Tage, Wochen, Monate, von Ungeduld geprägt. Ich vermisse das Kribbeln im Bauch, kurz bevor es losgeht. Die Ungewissheit, was wohl diesmal geschieht. Ich vermisse die Anspannung vor dem ersten Ton, die meinen Körper durchzieht. Ich vermisse diese völlig überzogene Hingabe, gegen die ich – egal wie erwachsen ich mich gebe – niemals anzukommen bin in der Lage. Ich vermisse die kleinen Details, die Anekdoten, die Kulisse, die liebevolle Gestaltung ohne Prämisse. Jedes Mal aufs Neue einzigartig, zieht mich an, weil das mag ich. Ich vermisse das Gefühl, in einem Raum zu stehen, nicht kühl, geflutet von Emotionen.
Ich vermisse das Losgelöstsein. Das Sich-Fallen-Lassen in den Moment hinein. Die Augenblicke der Schwerelosigkeit, wenn nicht mehr zählt, was gewesen ist, sondern nur noch das Hier und Jetzt von Bedeutung ist. Ich vermisse den Beat, der sich in mein Herz schlägt, den Ton angibt, den Takt bestimmt. Ich vermisse die Musik, die mir so viel gibt.
Ich vermisse Euch. Vielleicht brauche ich Euch nicht, aber Ihr fehlt ganz schlicht.
Denn Ihr habt mich beflügelt, lange bevor Ihr Flügel hattet. Habt mir das Weitergehen gestattet. Schritt für Schritt für Schritt. Ihr habt mir gezeigt, wie wichtig es ist, mutig zu sein, verletzlich, nicht nur daheim. Ihr habt mich entzückt, aber auch enttäuscht, angedeutet, wie das Leben läuft. Ich habe Euch gehört und gewusst, Ihr seid es. Wart meine Nummer eins, ganz ohne Zweifel. Ihr habt mich getroffen, irgendwie, zwischen Hoffnung und Melancholie. Ihr seid mein kleines bisschen Sicherheit, in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Ich habe so viele Künstler auf Bühnen gesehen, doch nur Ihr macht alles Negative ungeschehen. Ihr seid einmalig. Keiner macht mein Grinsen breiter, mein Herz leichter.
Die Geschichte im Schnelldurchlauf, vor 5578 Tagen ging der Silbermond für mich auf. Das liegt mehr als 15 Jahre zurück, mein letztes Konzert nur 267 Tage am Stück. Heute sollte die Fortsetzung folgen, doch das Universum wollte den Tag nicht vergolden. Also sitze ich nun hier, schreibe, wenn auch nicht auf Papier, was ich denke, von all dem hier. Ist das etwa Schicksal? Ihr wart mein erstes und mein letztes Mal, das macht mich ein bisschen sentimental. Ihr wart mein Auftakt und mein Abschied, gehört zu meiner Konzert-Welt, wie der Bauer aufs Feld. Ich habe alle Momente bewahrt, keine Endorphine gespart, das Glück konserviert, die Bilder eingraviert. Doch das Ende kam zu früh. Ungewissheit trügt. Und so werden die letzten Zeilen hoffentlich nicht wahr, und wir sehen uns wieder, irgendwann, vielleicht in einem Jahr:
Doch, wenn das in Stuttgart Anfang Februar mein letztes Konzert gewesen wär’, dann wär’ das mein letztes DANKE und das wär’ ein schöner Schluss… Ach, red’ keinen Stuss!